пятница, 15 декабря 2017 г.

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Die Buchbloggerin

Hilary Mantel: “Jeder Tag ist Muttertag”

Hilary Mantel ist, neben J .M.Coetzee und Peter Cary, die erste Autorin, die den wichtigsten britischen Literaturpreis, den Booker-Prize, gleich zwei Mal bekommen hat. Das erste Mal erhielt sie ihn für ihren historischen Roman “Wölfe”, das zweite Mal für den Nachfolgeband “Falken”.

Nun ist eines ihrer Frühwerke auf Deutsch erschienen. “Jeder Tag ist Muttertag” wurde im Englischen bereits 1985 veröffentlicht und hat mich jetzt vollkommen begeistert.

Als wäre dies nicht abnormal genug, kommt es auch vor, dass Mrs. Axon bestimmt Räume ihres eigenen Hauses nicht aufsuchen darf: Sie ist seit einiger Zeit davon überzeugt, dass ihr Haus von Geistern heimgesucht wird, die es ihr und Muriel verbieten, zum Beispiel in die Küche zu gehen, was die Nahrungmittelaufnahme von Zeit zu Zeit erschwert.

So ganz normal sind die Bewohner dieses Hauses jedenfalls nicht und es ist daher Гјberhaupt nicht verwunderlich, dass Mrs. Axon in frГјheren Zeiten auch Seancen zur Kontaktaufnahme mit Verstorbenen angeboten hat. Inzwischen hat sie diese TГ¤tigkeit jedoch eingestellt.В

Als sich das Sozialamt meldet, verweigert Mrs Axon den Zutritt zum Haus. Doch gegen die Auflage, dass Muriel einmal die Woche zur Tagesbetreuung die Räumlichkeiten des Sozialamtes aufsuchen muß, kann Mrs. Axon nichts machen.

Dann passiert eines Tages etwas Unvorhergesehenes: Muriel ist schwanger. Das kann nur in den Stunden während der Tagesbetreuung passiert sein, davon ist Mrs. Axon überzeugt. Muriels Zustand gilt es nun zu verheimlichen und die einzige Möglichkeit dies zu gewährleisten ist, Muriel das Verlassen des Hauses komplett zu verbieten.

Die Situation der Axons wird immer komplizierter und ganz langsam drängt sich einem die Frage ist, ob Muriel wirklich geistig zurückgeblieben ist, oder dies am Ende vielleicht sogar nur vortäuscht, um ihrer Mutter das Leben schwer zu machen.

Doch dies ist nur ein Teil der Geschichte, denn des Weiteren spielen die hartnäckige Sozialarbeiterin Isabel und ihr unselbständiger Lover Colin, der vor seiner dominanten Gattin flieht, indem er ständig sinnfreie Abendkurse belegt, eine wichtige Rolle.

Das Besondere am Personal dieses Buches ist, dass keine einzige Person Sympathien weckt. Nicht einmal mit der geistig zurГјckgebliebenen Tochter empfand ich Mitleid, denn Hilary Mantel legt sie tumb und lethargisch an.

Mrs. Axon ist sie nur eine ungeliebte Last: “Die ersten Jahre wurden darauf verwandt, Muriel sauber zu halten und sich mit ihrer Existenz abzufinden.”

Dies ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie bitterböse dieses Buch ist. Keiner wird hier geschont. Alleine die Art und Weise, wie der mausgraue Feigling Colin und seine Ehefrau Sylvia, die sich übrigens “ordentlich in die Toilette” übergibt, dargestellt werden, ist ganz große Kunst.

Hilary Mantel, hat die Gabe Szenen und Menschen fein zu beobachten und direkt zu entlarven. Sie durchschaut sie alle und läßt uns direkt daran teilhaben. Da lacht das böse Leserherz, bzw. bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wie zum Beispiel, als Mrs. Axon ihrem Mann sagt, dass sie mit Muriel schwanger sei: “Er war nicht erfreut, sagte aber, zweifellos könne ein Kind dazu erzogen werden, nicht zu große Unannehmlichkeiten zu machen. Schließlich hatte er sich auch nie vorstellen können einen Hund zu besitzen und der Airdale war äußerst folgsam.” Dann jedoch zerbiss der Hund nach Muriels Geburt den Teppich und wurde sogleich abgeschafft. Leider konnte man mit dem Kind so nicht verfahren.

Wenn man einmal all die Ironie und die sarkastischen ZГјge beiseite legt, dann bleibt ein sehr tragisches Werk Гјbrig. Eine gestГ¶rte Frau mit einer traurigen Vergangenheit, die ihre schwangere Tochter einsperrt, eine Гјberforderte Sozialarbeiterin, ein Waschlappen von einem Mann und sensationsgierige Nachbarn.

Hilary Mantel hat selbst als Sozialarbeiterin gearbeitet und weiß, wovon sie spricht. Solche Fälle wie den der Axons gibt es wirklich.

Das muГџ man sich immer vor Augen halten.

Nichtsdestotrotz mußte ich während der Lektüre so oft lachen. So gibt es eine Szene, in welcher Colin und Sylvia eine Party besuchen, die einfach nicht zu toppen ist. Eine solche Ansammlung von skurrilen und fiesen Typen habe ich in der Literatur nur selten angetroffen.

Alleine dafür hätten Hilary Mantel und ihr genialer Übersetzer Werner Löcher-Lawrence meiner Meinung nach einen weiteren Booker-Prize verdient.

Wie es mit dem Personal des Buches weiter geht, dürfen wir übrigens im August erfahren, dann nämlich erscheint der Folgeband, der den Titel “Im Vollbesitz des eigenen Wahns” trägt.

Ich freue mich sehr darauf.

Гњbersetzung:В Werner LГ¶cher-Lawrence

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2016 ebenfalls bei Dumont erschienen.

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7 thoughts on “Hilary Mantel: “Jeder Tag ist Muttertag”

Danke fГјr die Rezi. Ich sollte das Buch morgen bekommen. Bin gespannt.

Friederike

Dann wГјnsche ich Dir viel VergnГјgen!

Das hГ¶rt sich wirklich sehr vielversprechend an! Danke fГјr den Tipp.

Friederike

Immer gerne, ich bin wirklich hin und weg!

Das Buch muss ich mir sofort bestellen. Danke fГјr die Empfehlung

Friederike

ich bin gespannt, was Du dazu sagen wirst :).

Hilary Mantel: "Jeder Tag ist Muttertag" Schauergeschichte mit bösem Humor

Hilary Mantel hat sich vor allem mit Romanen aus der Zeit der Tudors einen Namen gemacht. Nun erscheint "Jeder Tag ist Muttertag" auf Deutsch, ihr mehr als 30 Jahre altes Debüt. Aber auch dieser Roman zeigt eine Qualität, die Mantels Werke auszeichnet: ein leiser und böser Humor.

Schon mit dem kurzen, ersten Absatz in Hilary Mantels Roman "Jeder Tag ist Muttertag" bekommt man zwei Ungeheuerlichkeiten serviert: Eine Mutter schaut ohne jedes Mitgefühl auf ihre Tochter, und die lacht sich kaputt, als ein alter Mann auf der Straße stürzt und sich die Hüfte bricht.

Mit diesem Roman-Debüt hat sich Hilary Mantel vor über 30 Jahren in der Literatur vorgestellt. Der große Ruhm der britischen Autorin kam erst 20 Jahre später, mit gleich zwei Booker-Preisen für ihre Romane aus der Zeit der Tudors und vielen anderen Ehrungen für die inzwischen in den Adelsstand erhobene Autorin.

Eine Mutter schaut ohne Mitgefühl auf ihre Tochter

Hilary Mantel ist heute eine der wichtigsten Stimmen in der englischsprachigen Literatur, nach und nach erscheinen ihre Bücher nun auch auf Deutsch. Ihr erster Roman zeigt eine Qualität, die sich durch viele Werke von Hilary Mantel zieht: ein leiser, in aller Ruhe ausgespielter, durchdringend böser Humor. Hier platziert sie den vor allem bei Evelyn Axon und ihrer Tochter Muriel, die beide ein ganz eigenes Verhältnis zu Welt pflegen.

Die verwitwete Evelyn hat sich früher als Medium betätigt und Kontakt zu den Geistern Verstorbener hergestellt. Ihr scheint nun aber die Kontrolle über die jenseitige Welt entglitten zu sein, sie ist überzeugt, dass ihr Haus von Höllenwesen bewohnt ist, die sich immer stärker in ihr Leben drängen.

Ihre Tochter Muriel ist Anfang 30, sie gilt als geistig zurückgeblieben und ist sehr geschickt darin, diesen Eindruck aufrechtzuerhalten. Als Leser bekommt man allerdings immer mehr Hinweise darauf, dass die Höllenwesen in Evelyns Haus von Muriel gesteuert werden, um die Mutter auf perfide Art zu quälen und unter Kontrolle zu halten.

"Vacant Possession" hoffentlich auch bald auf Deutsch

Isabel Field wiederum hat eine Affäre mit einem verheirateten Lehrer, einem so feigen wie lebensängstlichen wie selbstmitleidigen Mann, der ähnlich in sich eingesperrt scheint wie Evelyn und Muriel in ihrem Geisterhaus. Von diesem Haus breitet sich eine Atmosphäre panischen Grusels in das englische Vorortleben des Romans aus, in die Weihnachtsfeste und Stoffserviettendebatten und Diner Partys der umliegenden Häuser. Man fürchtet immer stärker, und zu Recht, dass es hier auch Tote geben wird.

Nur ein Jahr nach "Jeder Tag ist Muttertag", 1986, hat Hilary Mantel eine Fortsetzung des Romans mit dem gleichen Personal veröffentlicht, unter dem Titel "Vacant Possession". Hoffentlich gibt es bald auch von diesem Roman eine deutsche Fassung, so dass man diese sehr überzeugende britische Erneuerung des Schauerromans weiterverfolgen kann.

Hilary Mantel: Jeder Tag ist Muttertag

aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence,

DuMont-Verlag, Köln 2016, 256 Seiten, 22,99 Euro

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Jeder tag ist muttertag hilary mantel

Jeder Tag ist Muttertag – Hilary Mantel

Bei „Jeder Tag ist Muttertag“ handelt es sich um den 1985 in England und 2016 in deutscher Sprache erschienen Debütroman von Hilary Mantel. Sie wurde 1952 in Glossop, England, geboren und war nach ihrem Jura-Studium in London als Sozialarbeiterin tätig. 2009 und 2012 erhielt sie den Booker-Preis, den wichtigsten britischen Literaturpreis.

In diesem Roman befinden wir uns in England in den 1970er Jahren. Die Nachbarn haben es längst aufgegeben, mit Evelyn und Muriel Axon Kontakt zu pflegen. Das ist Evelyn, die früher als Medium arbeitete und sich nun von Geistern verfolgt fühlt, nur recht. Zusammen mit ihrer behinderten Tochter verbarrikadiert sie sich in ihrem Haus, das mehr und mehr verfällt.

Bei aller Stumpfheit ist ihre Tochter Muriel jedoch nicht dumm. Als kleines Kind setzt sie in Nullkommanichts ein Puzzle mit der Rückseite nach oben zusammen. Mutter Evelyn liebt und versteht zwar ihre Tochter nicht, hat aber dennoch Angst sie zu verlieren. Und so wächst Muriel in brutal einengender Lieblosigkeit auf, in der die beiden Frauen sich belauern und auf ihre jeweils eigene Art bekriegen.

„Sie öffnete den Schrank und holte ihr Frühstücksei heraus. Sie balancierte es auf der offenen Hand und erlaubte ihm, herunterzurollen und auf dem Boden zu zerschellen. Das Ergebnis war befriedigend. Evelyn machte so merkwürdige Geräusche, wenn sie sich bückte, um den Boden zu säubern. ‚Du nutzloses Stück‘, schrie sie dann.“ (S. 94)

Mit den Sozialarbeitern, die ihre geistig behinderte Tochter fördern wollen, wird Evelyn schnell fertig. Doch dann ist Muriel, obwohl sie das Haus fast nie verlässt, plötzlich schwanger. Ihre Mutter sorgt dafür, dass kein Außenstehender etwas davon mitbekommt – auch Isabel Field nicht, die neuste Sozialarbeiterin, die beharrlicher als die vorherigen zu sein scheint. Sie ist ähnlich verbissen und starrköpfig wie Evelyn. Und hat ebenso viele Probleme: einen sexuell sehr aktiven Vater, der seine Eroberungen in den Waschsalons der Kleinstadt macht, und einen schwärmerischen, aber angstgetriebenen Liebhaber, Colin Sydney, der Abendkurse besucht, um seiner herrischen Frau zu entkommen.

Wäre da noch Muriel. Sie scheint ganz offensichtlich ihr eigenes Leben zu haben, von dem weder ihre Mutter noch die Sozialarbeiter etwas ahnen. Und man fragt sich, ob Muriel wirklich so behindert ist, wie alle glauben.

Hilary Mantel zeichnet unglaublich plastische Charaktere und lebendige Dialoge voller Sarkasmus und schwarzem englischen Humor. Keine ihrer Personen weckt Sympathien und selbst aufkeimendes Mitleid verfliegt schnell, doch man will unbedingt wissen, wie es weiter geht. Die Innenperspektiven von Mutter und Tochter sind verstörend und zeigen psychische Dimensionen auf, die so schaurig in ihrer Auswirkung sind, dass es zugleich berührend und entsetzlich ist. Es gibt Szenen, die mich dazu zwangen das Buch erstmal aus der Hand zu legen, weil ich sie kaum ertragen konnte. Natürlich handelt es sich hierbei um eine fiktive Geschichte, aber die lebhafte und authentische Art in der die Autorin auf der anderen Seite das hoffnungslose Familienleben und das Verhältnis des Familienvaters mit der Sozialarbeiterin schildert oder dem Leser Auszüge aus den Sozialakten präsentiert, lässt einen beim lesen so nah an der Realität sein, dass man die Befürchtung hegt, dass viel mehr möglich sein kann, als man sich nur annähernd vorstellen kann.

Mich konnte dieses Buch fesseln und ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte weiter geht, da zum Schluss doch noch einzelne Fragen für mich offen blieben. Diese waren zwar nicht schwerwiegend, so dass man diesen Roman auch für sich allein stehen lassen könnte, aber ich war neugierig und habe gleich im Anschluss die Fortsetzung „Im Vollbesitz des eigenen Wahns“ gelesen.

Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence

Original: Every Day Is Mother’s Day, Chatto & Windus, London 1985

Hardcover, 256 Seiten

Verlag: Dumont Buchverlag

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Über Yvonne

3 Antworten zu Jeder Tag ist Muttertag – Hilary Mantel

Ich habe mir gerade deine letzte Empfehlung „Geständnisse“ schicken lassen, und das klingt auch sehr spannend. Aufgrund des Titels hätte ich da nie hineingeschaut ……

So geht es mir auch. Das Buch habe ich in irgendeiner Büchersendung im vergangenen Jahr entdeckt und fand die Beschreibung und Diskussion darüber so interessant, dass es auf meine Wunschliste kam. Es ist ein Buch, das ebenso wie „Geständnisse“ aus dem üblichen Rahmen fällt. Aber beide Bücher sind auch schockierend. Viel ‚Spaß‘ beim lesen 🙂

Jeder Tag ist Muttertag

Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence

Jeder Tag ist Muttertag

Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence

  • Gebundenes Buch

Längst haben es die Nachbarn aufgegeben, mit Evelyn und Muriel Axon Kontakt zu pflegen. Das ist Evelyn, die früher gelegentlich als Medium arbeitete und sich von Geistern verfolgt fühlt, nur recht. Zusammen mit ihrer Tochter verbarrikadiert sie sich in ihrem Haus, das mehr und mehr verfällt. Mit den Sozialarbeitern, die ihre geistig behinderte Tochter fördern wollen, wird sie schnell fertig. Aber wie soll sie mit Muriels Schwangerschaft und dem Kind, wenn es denn mal da ist, umgehen?

Isabel Field ist als neue Sozialarbeiterin davon überzeugt, den Widerstand der Axon-Damen zu brechen. Sie …mehr

Neben den Axons wohnt Florence Sidney, deren Bruder ein genervter Ehemann und dreifacher Vater ist. Seine Frau kann er eigentlich schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr ertragen und seine Kinder hören weder auf ihn, noch sind sie eine sonderliche Freude für den ausgelaugten Lehrer. Daher flüchtet er sich in diverse Kurse an der Abendschule, wo er die junge und attraktive Isabel kennenlernt. Sehr rasch entwickelt sich zwischen den beiden eine Affäre, die natürlich irgendwann in eine Entscheidung mündet, die das Leben der beiden verändern wird. Aber erst einmal muss ich Isabel um einen neuen Fall kümmern, der auf ihrem Tisch gelandet ist. Evelyn und Muriel Axon müssen dringend einmal von ihr besucht werden.

„Als Mrs Axon von Zustand ihrer Tochter erfuhr, war sie eher überrascht, als dass Muriel ihr leidgetan hätte (….) Es war immer schwer zu sagen, was Muriel gefallen würde. Als der alte Mann im Winter auf der Straße gestürzt war und sich die Hüfte gebrochen hatte, da … mehr

„Als Mrs Axon von Zustand ihrer Tochter erfuhr, war sie eher überrascht, als dass Muriel ihr leidgetan hätte (….) Es war immer schwer zu sagen, was Muriel gefallen würde. Als der alte Mann im Winter auf der Straße gestürzt war und sich die Hüfte gebrochen hatte, da hatte sie sich vor Lachen kaum zu halten gewusst.“

Muriel, 30 Jahre alt, gilt in der Siedlung und bei den Ämtern als geistig minderbemittelt, doch immer mehr wird dem Leser angedeutet, dass sie sehr genau weiß, was sie tut und ihrerseits die Mutter quält und mit fantasierten Geistern kontrolliert.

Lesemaniac

Wer liest, hat mehr vom Leben

Hilary Mantel - Jeder Tag ist Muttertag

Titel: Jeder Tag ist Muttertag

Originaltitel: Every Day Is Mother's Day

Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence

Reihe: Muriel Axon #1

Genre: Roman, Zeitgenössisches

ISBN: 978-3-8321-8903-7 (eBook, 256 Seiten)

ASIN: B0195P6X4W (Kindle Edition)

Längst haben es die Nachbarn aufgegeben, mit Evelyn und Muriel Axon Kontakt zu pflegen. Das ist Evelyn, die früher gelegentlich als Medium arbeitete und sich von Geistern verfolgt fühlt, nur recht. Zusammen mit ihrer Tochter verbarrikadiert sie sich in ihrem Haus, das mehr und mehr verfällt. Mit den Sozialarbeitern, die ihre geistig behinderte Tochter fördern wollen, wird sie schnell fertig. Aber wie soll sie mit Muriels Schwangerschaft und dem Kind, wenn es denn mal da ist, umgehen?

Isabel Field ist die neueste Sozialarbeiterin, die den Widerstand der Axon-Damen brechen will. Sie ist ähnlich verbissen und starrköpfig wie Evelyn. Und hat ebenso viele Probleme: einen sexuell sehr aktiven Vater, der seine Eroberungen in den Waschsalons der Kleinstadt macht, und einen schwärmerischen, aber angstgetriebenen Liebhaber, Colin Sydney, der Abendklassen besucht, um seiner dominanten Frau zu entkommen.

Wäre da noch Muriel. Sie scheint ganz offensichtlich ein eigenes Leben zu haben, von dem weder ihre Mutter noch die Sozialarbeiter etwas ahnen. Und man fragt sich, ob Muriel wirklich so behindert ist, wie alle glauben. *Quelle*

Hilary Mantel wurde 1952 in Glossop, England, geboren. Nach dem Jura-Studium in London war sie als Sozialarbeiterin tätig. Sie lebte in Botswana und in Saudi-Arabien. Für den Roman Wölfe (Dumont 2010) wurde sie 2009 mit dem Booker-Preis, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Mit Falken, dem zweiten Band der Tudor-Trilogie, gewann Hilary Mantel 2012 den Booker erneut. Bei Dumont erschienen zuletzt der Roman Brüder (2012), der Erzählungsband Die Ermordung Margaret Thatchers (2014) und ihre Autobiographie Von Geist und Geistern (2015).

Evelyn Axon, ein ehemaliges Medium, und ihre 33-jährige Tochter Muriel leben völlig isoliert und ohne jegliche soziale Kontakte in ihrem langsam zerfallenden Haus. Muriel wird vom Sozialamt betreut, denn sie ist nach deren Aussage und der Ansicht ihrer Mutter geistig zurückgeblieben. Doch die Betreuung gestaltet sich als schwierig, da Mutter Evelyn die Betreuer so gut wie nie ins Haus lässt.

Ein Roman, der von seiner bitterbösen Boshaftigkeit und seinem sehr schwarzen Humor lebt. Hilary Mantels Debüt seziert das Leben seiner Protagonisten bis ins Detail und konnte mich sehr gut unterhalten. Lesetipp!

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2 Kommentare

Dann sind wir uns ja einig :).

Ich freue mich auch schon sehr auf die Fortsetzung.

Oh ja, unbedingt! Die Fortsetzung ist schon fest für September eingeplant :)

Viele Grüße an dich,

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  • DuMont Buchverlag, April 2016
  • Imprint: DuMont Buchverlag
  • ISBN: 9783832189037
  • Language: German
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Sozialdrama: Hilary Mantels „Jeder Tag ist Muttertag“

Behinderten-Drama Ja, bin ich denn etwa das Sozialamt?

Quelle: Getty Images

D ieses Buch ist eines der deprimierendsten, die ich seit Langem gelesen habe. Viele seiner Figuren sind bemitleidenswert, die meisten bösartig, alle tief unglücklich. In Zeiten fast alltäglicher Terrorakte neigen wir dazu, zu vergessen, was auch scheinbar friedlich nebeneinanderlebende Menschen einander antun können. Leise und unspektakulär, aber trotzdem zerstörerisch und tödlich wie schwache, aber regelmäßige Dosen Gift. Die Hölle, die – nach Sartres „Geschlossener Gesellschaft“ – die anderen sind, kann auch wie ein kleinbürgerliches Wohnviertel aussehen.

Kinder als Überwachungsapparat

Colin Sidney, ein Geschichtslehrer in mittleren Jahren, erlebt seine täglichen Qualen daheim; seine Ehe mit Sylvia ist ein Gefängnis, wobei Einzelhaft den Vorteil hätte, ab und zu Ruhe zu gewähren: „‚Du warst ziemlich lange auf der Toilette‘, sagte Sylvia. ‚Gestehe mir die paar Minuten für mich zu‘, sagte Colin, ‚und beschränke dein Interesse auf die Darmtätigkeit der Kinder.‘“

Die eheliche Konversation kennt wenig erbaulichere Gegenstände. Die drei kleinen Kinder empfindet Colin als einen perfiden Überwachungsapparat, der ihn davon abhält, in Ruhe mit seiner jungen Geliebten Isabel zu telefonieren, die er – mit Ansage – in einem Creative-Writing-Kurs kennengelernt hat und die ihm nun doch den Schlaf raubt.

Affären ohne Mobiltelefon

„Jeder Tag ist Muttertag“ ist Hilary Mantels Debütroman, er erschien im Original 1985, also vor mehr als dreißig Jahren, und spielt in den frühen Siebzigern, in einer Zeit also, als das Organisieren von Affären ohne Mobiltelefone oder Dating-Apps noch etwas komplizierter und riskanter als heute war. Mantel, inzwischen für ihre historischen Tudor-Romane gleich doppelt Booker-Preis-gekrönt, verarbeitete in ihrem Erstling eigene, offenbar ziemlich traumatische Erfahrungen aus ihrer Zeit als Sozialarbeiterin in einer geriatrischen Klinik.

Isabel, Colins Geliebte, arbeitet nämlich für das Sozialamt und ist unter anderem für die Betreuung der geistig behinderten Muriel zuständig, die als erwachsene Frau bei ihrer Mutter Evelyn lebt. Der vor Nachbarn und Ämtern sorgfältig verborgene Alltag von Mutter und Tochter ist der zweite, titelgebende Handlungsstrang des Buches.

Evelyn ist selbst in hohem Maße psychisch gestört. Seit dem Tod ihres Mannes glaubt sie sich von Totengeistern und Kobolden verfolgt und drangsaliert. Ihre hilflose Tochter hält sie in totaler Abhängigkeit, verhängt sadistische Strafen für vermeintliche Vergehen und beschränkt ihren Außenkontakt auf ein Minimum. Das Sozialamt nimmt sich des Falls zwar an, erkennt aber nicht seine tatsächliche Dramatik, die eskaliert, als Muriel schwanger wird.

Das Versagen der Sozialbehörden

Mantel schildert das Versagen der Behörden (auch das Desinteresse und die Ignoranz der Nachbarn) mit sarkastischem Blick. Mal geht die Betreuerin in Mutterschutz, dann wird intern versetzt, ein Umzug steht an, schließlich verschwindet die Akte. Isabel, am Anfang durchaus motiviert, scheitert ebenfalls an ihrer Überforderung und der List und Tücke der überall Feinde witternden Mutter.

Auch ihr gelingt es nicht, persönlichen Kontakt zu Muriel aufzunehmen, die vor ihrer Mutter durchaus in eine Welt mit eigenen Gesetzen flüchten kann. Großartig und bedrückend, wie Mantel hier abwechselnd aus der inneren Perspektive von Mutter und Tochter erzählt. Als Vorbilder mögen Iris Murdoch („Das Meer, das Meer“ oder „Der schwarze Prinz“) oder die Wahnsysteme in Elias Canettis „Blendung“ gedient haben.

Verschiedene Wahrnehmungen

Wie fundamental unterschiedlich die Wahrnehmung ein und derselben Situation ist, wird auf mehreren Ebenen durchgespielt, etwa auch in der Ehebruchsgeschichte von Colin und Isabel. Während der ältere Mann tatsächlich dem Mythos vom Neuanfang aufsitzt (und zugleich unfähig dazu ist), hat die emanzipierte Geliebte bereits die Klischeehaftigkeit ihrer Rolle erkannt: „Ich habe die Ratgeberseiten gelesen, ich sollte Bescheid wissen. Komm, Colin, gehen wir. Ich kann hier nicht sitzen und all die Sätze sagen, die mir die Gesellschaft ins Skript geschrieben hat. Sie haben Schlingenfallen und Fangeisen verboten, aber hiergegen gibt es keine Gesetze.“

Kennengelernt haben die beiden sich in einem Schreibkurs für Erwachsene, dessen Leiterin erklärt, jeder Mensch trage ein Buch in sich: „Wir mögen ja denken, dass wir zu gewöhnliche Leben leben, doch glauben Sie mir, genau diese Gewöhnlichkeit ist der Stoff der größten Bücher aller Zeiten. Denken Sie nur an Jane Eyre.“

Die Erwähnung des Romans von Charlotte Brontë ist ein Wink. Die von ihrem Ehemann auf dem Dachboden gefangen gehaltene, geisteskranke Bertha Mason gab der berühmten Studie „The Madwoman in the Attic“ von Sandra Gilbert und Susan Gubar den Titel, einer bahnbrechenden Studie feministischer Literaturwissenschaft. „The Madwoman“ erschien 1979, Mantels Roman ist auch eine durchaus anklägerisch-sozialkritisch gemeinte Aktualisierung des Themas. „The Madwoman“ ist hier allerdings nicht nur Muriel.

Erinnerung an das New British Cinema

„Jeder Tag ist Muttertag“ folgt dem Muster des Melodramas und ist in der unerbittlichen Verkettung von fatalen Zufällen etwas zu erwartbar (auch das erinnert an die stark konstruierten, aber hochkomischen Handlungsverknotungen von Iris Murdoch). Mit seinem Setting, seinen Themen und der Stimmung passt der Roman perfekt in die Zeit des New British Cinema der Achtzigerjahre, der Sozialdramen von Ken Loach oder Mike Leigh, wenngleich ohne deren Leichtigkeit und charmantem Witz.

Ken Loach gewinnt Goldene Palme in Cannes

Bitte versuchen Sie es später noch einmal.

Der britische Regisseur Ken Loach hat für sein Sozialdrama „I, Daniel Blake“ die Goldene Palme beim Filmfestival in Cannes gewonnen. Auch der deutsche Beitrag „Toni Erdmann“ konnte einen Preis holen.

Quelle: Die Welt

Mantels Komik ist eher bitterböse. Sie verfügt über ein hochfeines Sensorium für Rasierklingenschärfe in banalsten Bemerkungen.

Das kulminiert in der satirischen Schilderung einer Dinnerparty unter Lehrerkollegen, die sich für Großintellektuelle halten, ein einziges Fest der Eitelkeiten. Das klingt dann so: „‚Ernsthaft, manchmal frage ich mich, ob Shakespeare überhaupt ein Gespür für das sexuell Lächerliche hatte.‘ Toye stand mittlerweile vor dem Kamin und toastete seine mageren Hinterbacken vor den elektrischen Holzscheiten. ‚Aber erzähl weiter‘, befahl er Frostrick, ‚von der so faszinierenden Straßenverkehrsordnung.‘“ Ähnlich schrecklich läuft aber auch der Weihnachtsmorgen im Familienkreis aus dem Ruder.

Das ist kein Buch, dass man lesen sollte, um die eigene Laune zu heben. Es ist kein harmloser Zeitvertreib, sondern zwingt zur Erkenntnis. Und dennoch wird der Leser belohnt. Es trifft einen schlicht wie ein Blitzschlag, wenn eine winzige Erinnerung der so verrückten Evelyn am Ende noch den Abgrund eines Kindesmissbrauchs aufreißt und all das Leid und der Wahn und die unendliche Einsamkeit als Resultat einer langen Kette von Verletzungen erkennbar werden. Da ist die Sozialarbeit mit ihrem Latein am Ende, die Literatur hingegen erst am Anfang.

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Jeder Tag ist Muttertag von Hilary Mantel: So bitchy sind nur Verwandte

"Jeder Tag ist Muttertag" So bitchy sind nur Verwandte

Am Sonntag ist Muttertag - aber dieses Geschenk wäre gewagt: In ihrem endlich auf Deutsch erschienen Romanerstling beschreibt Hilary Mantel die Schrecken des Familienalltags und zwar eiskalt.

Englische Kleinstadt in den Siebzigern

(Jahrgang 1978) ist freie Journalistin in Berlin.

Und am Ende, an einem dieser öden, klammen Wintermorgen, wird das Baby wie Moses in einen Pappkarton gepackt und in einen schmierigen Kanal, naja, geschubst. Mutter und Tochter stehen daneben im Morast und "sahen zu, wie sich der Karton voll Wasser saugte und kippte."

Da liest man ein Buch über zwei Familien, bei den Sidneys bröselt die Ehe, bei den Axons kümmert sich die Witwe um ihre als autistisch skizzierte Tochter Muriel, die obendrein schwanger ist. Und als dann jene Säuglings-Versenk-Szene kommt, ganz sachlich, wie nebenher, scheint einem als Leser nichts daran erstaunlich. Ja, mei.

Die Freudlosigkeit zieht in diesem Roman wie Nebel in jede Ritze. Wer mit Hilary Mantels herrlich elendem Roman "Jeder Tag ist Muttertag" fertig ist, wird bei dieser Mutti-Phrase fortan nur noch grinsen und denken: Hallo, Sarkasmus! Hier wird nicht gescheitert, hier gibt man gleich auf, mit einem matten "Mir egal". Hat je eine Geschichte den Hashtag #regrettingmotherhood verdient, dann diese. Und das Jahrzehnte vor der Debatte von und über Mütter, die sich mit breitem Kreuz hinstellen und erklären, dass das mit dem Kinderkriegen vielleicht nicht die beste Idee ihres Lebens war.

Autorin Hilary Mantel

Denn "Jeder Tag ist Muttertag" liegt zwar erst jetzt erstmals, endlich!, auf Deutsch vor - erschien aber bereits 1985. Die Story spielt Mitte der Siebzigerjahre in einer bedrückenden englischen Kleinstadt, als es für Ehefrauen Usus war, keinen eigenen Penny im Portemonnaie zu haben. Ja, Mantels Debüt war kein historischer Roman. Reine Strategie: Denn, so erzählte die 63-Jährige einmal in einem Interview, ihren Erstling, einen Trumm über die Französische Revolution, wollte kein Verlag. Also musste zunächst was aus dem Hier und Jetzt her.

So entstand aus Mantels Erlebnissen als Sozialarbeiterin der Mikrokosmos von zwei einander sacht touchierenden Familien: Die Sozialarbeiterinnen, die beim dysfunktionalen Mutter-Tochter-Duo Axon vorbeischauen, bilden den Rhythmus der Story. Eine davon fängt eine Affäre mit Colin Sidney an, Geschichtslehrer, Vater von drei, vier Blagen, Gatte einer Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das Setting ist klaustrophobisch, mit einer Atmosphäre wie aus Schauerromanen: Die einen verbarrikadieren sich im Haus, die anderen im Familienkonstrukt; hier bricht die Tochter aus, dort der Mann.

Humor, der langsam die Beine hochkriecht

Dass Mantel diesen zeitgenössischen Blick hat, kann man nicht genug betonen. Die menschliche Kaputtheit des 20. Jahrhunderts in, sagen wir: Norfolk, taucht in vielen ihrer Bücher auf. Und genau vor diesem Tableau wird klar, wieso sie mit dem Genre "Historienschinken" so anders umgeht als üblich: Sie erzählt psychologische und soziale Dramen. Das Zeitalter ist da wurscht.

Wie grandios das etwa ins Mittelalter passt, merkt man am Erfolg ihrer (noch) unvollendeten Trilogie über Heinrich VIII., Thomas Cromwell und Anne Boleyn, für deren ersten beide Teile "Wölfe" und "Falken" sie 2009 und 2012 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde. Um Mantels Prestige kurz einzuordnen: Den gleich zwei Mal zu erhalten ist extrem rar (das schafften nur zwei, J. M. Coetzee und Peter Carey), fast wie der Literaturnobelpreis.

Und dann hat die BBC ihre Heinrich VIII.-Story noch zur Mini-Serie gemacht, und zwar mit Ansage: in den Hauptrollen "Homeland"-Hauptdarsteller Damian Lewis als König und der diesjährige Oscar-Gewinner Mark Rylance als Thomas Cromwell. Das wundert kaum: Nicht nur, weil sie mit einem derartig filmischen Blick erzählt, alles ist eben obendrein perfekt auf heutige Rangeleien übertragbar.

Und noch eins: Mantel ist witzig. Keine Haha-Schenkelklopfer, eher Humor, der fies langsam die Beine hochkriecht wie trockene Kälte. Jener morbide Roald-Dahl-Ton, der auch ihren ebenfalls auf Deutsch vorliegenden Kurzgeschichtenband "Die Ermordung Margaret Thatchers" prägt ("Thatcher schleuderte ihre Handtasche herum wie einen Außenbordmotor ihrer Vagina", so Mantel im "SPIEGEL"-Interview), und ihr stocknüchterner Blick auf Familien und Ehen sind bereits in ihrem Debüt nicht zu überlesen.

Am Ende ist der Widerstand weg

Ungelogen, auf jeder der 256 Seiten hält man inne und bewundert, wie Mantel die Tragikomik des ganz normal beschissenen Familienalltags seziert. Die Erbsen auf dem Boden, den Zoff über die Tannenbaumnadeln, Zeug, das verschwindet. Es ist unklar, was überwiegt beim Ertapptfühlen: die Tragik, die Komik - oder dieses leicht unheimliche Manweißnichtwas.

Präzise wie einen Hinterhalt baut Mantel diese Momente auf. So sinniert Mrs. Axon nach dem Besuch einer frisch verwitweten Nachbarin: "Es gab doch mal, überlegte Evelyn, die Sitte der Witwenverbrennung. Ihrem Verhalten nach zu urteilen schienen viele deren Abschaffung für eine ungesunde Entwicklung zu halten." Rumms!

Oder sie lässt bei einem Dialog zwischen den Sidney-Schwägerinnen jene latente Bitchiness durchschimmern, die jeder in der eigenen Verwandtschaft kennt: "'Ist schon gut', sagte Sylvia. 'Bleib nur sitzen, wenn du mir erlaubst, meinen Tisch auf meine Art abzuräumen.' - 'Ich habe doch gar nichts gesagt', protestierte Florence. - 'Nein, aber deine Blicke.'"

Hinter den Blicken, reine Vermutung: Diesen Interpretationsspielraum reizt Hilary Mantel in ihrem Schreiben komplett aus. (Spoiler: Etwa wie geistig klar Muriel Axon ist, wird in der Fortsetzung deutlich: "Im Vollbesitz des eigenen Wahns" erscheint am 17. August auf Deutsch) Und weil so viel im Ungefähren bleibt, rutschen auch Rebellion und Sich-Fügen still ineinander. "Warum ist es so verflucht dunkel?", brüllt Colin Sidney einmal, "Warum ist das Leben so ekelhaft unbequem?". Am Ende ist der Widerstand weg. Es riecht alles nach Schimmel. Nach Elend.

Jeder Tag ist Muttertag

Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence.

Dumont 2016, 256 Seiten, 22,99 Euro.

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Hilary Mantels Protagonisten sind in ihrem Umfeld stets Opfer und Täter zugleich. Sie erhalten Fassaden aufrecht und schauen weg, wenn diese Fassaden zu bröckeln beginnen. (Bild: Imago)

Das 20. Jahrhundert werde «das Jahrhundert des Kindes» sein, verkündete die schwedische Erziehungswissenschafterin Ellen Key im Jahr 1900. Kinder würden künftig als Wesen von eigenem Recht und nicht als kleine Erwachsene gesehen werden. Ihnen werde zugestanden, sich auch «schlimm» zu verhalten. Lehrer mit Burnout-Syndrom oder Mütter, die sich von der grassierenden «Regretting Motherhood»-Bewegung verstanden fühlen, singen heute vielleicht ein Klagelied darüber, zu welchen Auswüchsen das geführt hat.

Verpfuschte Leben

Aber wer würde dabei an ein Kind wie Muriel denken: geboren 1940, mittlerweile Mitte dreissig, ungeschlacht, in seltsame Kittel gekleidet, meist stumm, anscheinend in der psychischen Entwicklung stark beeinträchtigt, unheimlich und in den Worten von Hilary Mantel kurz und knapp: «passiv aggressiv».

Dieses Wesen ist die zentrale Gestalt in «Jeder Tag ist Muttertag» – dem Roman, mit dem die mittlerweile vielfach ausgezeichnete Autorin 1985 debütierte. Muriel und ihre Mutter, die seit Jahrzehnten abgeschottet in ihrem Haus in einem besseren Viertel einer britischen Kleinstadt leben, werden zum Kondensationskern einer bitterbösen Geschichte, bei der es nicht nur um klaustrophobische Mutter-Tochter-Beziehungen geht, sondern auch um das verpfuschte Leben eines ganzen Mittelschicht-Milieus. Um eine zugespitzte Darstellung menschlicher Schwächen, um Desinteresse und Versagen gegenüber anderen, um mangelnde Anteilnahme. Eine Satire, erklärt Hilary Mantel anlässlich der jetzt erschienenen deutschen Übersetzung, die Werner Löcher-Lawrence besorgt hat. Aber eben eine Satire im britischen Stil, gnadenlos, zuweilen jenseits der Grenze, die befreiendes Lachen von Beklemmung trennt.

Muriels Mutter Evelyn, mittlerweile eine alte Frau, hat ihre Rolle gegenüber der Tochter niemals angemessen ausgefüllt. Der Ehemann und Vater ist früh verstorben; seither machen die beiden einander das Leben zur Hölle. Evelyn sperrt die Aussenwelt, Nachbarinnen genauso wie Sozialarbeiterinnen, konsequent aus. Muriel streicht durch die Zimmer wie ein Gespenst, und niemand weiss, was sie umtreibt – aber mit einem Mal ist sie schwanger. Vermutlich ist sie schon in der Kindheit emotional verhungert und zahlt es der alten Frau nun mit rätselhaften Aktionen im Haus heim.

Aber der Roman ist keine psychologische Studie, also löst er seine Rätsel nicht. Der Leser kann durchaus entsprechende Theorien an die Geschichte herantragen, darf sich aber auch mit gleichem Recht einfach dem Reigen von Katastrophen überlassen, die Hilary Mantel mit Muriels und Evelyns Alltagsdrama verknüpft: etwa der Geschichte von Isabel, einer jungen Sozialarbeiterin – vielleicht der einzigen sympathischen Figur im Roman –, die im Auftrag des Sozialamtes Muriel zu betreuen versucht, sich dann aber in einer Affäre mit einem verheirateten Mann verliert, der seinerseits vor Gattin und Kindern fliehen möchte.

Hilary Mantels Protagonisten sind in ihrem Umfeld stets Opfer und Täter zugleich. Sie erhalten Fassaden aufrecht und schauen weg, wenn diese Fassaden zu bröckeln beginnen. Sie stellen Ansprüche, wollen aber selbst möglichst wenig geben. Die Angebote, die der Roman dem Leser macht, um sich in diese erstickende Welt zu versetzen, sind breit gestreut. Sie reichen von der erwartbaren Dynamik einer unglücklichen Liebelei über die stumme Verbissenheit des Duos aus Mutter und Tochter bis zum latenten Horror, der aus Evelyns Hang zum Übersinnlichen erwächst. Unsichtbare Fremde seien im Haus zugange, mutmasst sie, wenn sie schwer erklärbaren Zeichen oder unangenehmen Schikanen ausgesetzt ist. Doch das Unerklärliche, mit dem Evelyn sich herumschlägt, während Muriel sie beobachtet, ist nichts anderes als die Wiederkehr des unausgesprochenen Elends dieser Familie; und indem Evelyn es als unerklärlich akzeptiert, überlässt sie sich und ihre Tochter einem eingeübten, wenn auch fatalen Ausweichen vor der Wahrheit über ihr Zusammenleben.

«Jeder Tag ist Muttertag» mischt Realismus im Ganzen und eine unaufgelöste Anbindung an übersinnliche Phänomene im Detail mit wechselnden Erzählperspektiven und unterschiedlichen Zungenschlägen: Einmal zitiert der Roman amtliche Schreiben, dann wieder die Innensicht permanent unfroher Protagonisten, oder er fühlt sich tastend in den dunklen Kern von Muriels Persönlichkeit ein. Das ist zuweilen etwas holprig montiert und als Satire noch nicht so geschliffen wie etwa Mantels skandalträchtige Geschichte «Die Ermordung Margaret Thatchers» aus dem Jahr 2013.

Schreckensbilder der Kindheit

In ihrer Autobiografie «Von Geist und Geistern» (dt. 2015) hat die Schriftstellerin von Schreckensbildern ihrer eigenen Kindheit berichtet, von einer Erscheinung, die sie als kleines Mädchen in einem Garten hatte, einer Art furchterregendem wirbelndem Schatten. Der Muttertag, so wie sie ihn begeht, erinnert daran: Der Seele ihrer Protagonisten hat er sich für immer eingeschrieben, als Leser verfolgt man das mit Staunen und Schrecken.

Hilary Mantel: Jeder Tag ist Muttertag. Deutsch von Werner Löcher-Lawrence. Dumont-Verlag, Köln 2016. 256 S., Fr. 28.90.

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